Die Essener
Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus widmete den Essenern zwei berühmte Berichte.
Den einen in den Jüdischen Altertümern, den anderen im Jüdischen
Krieg (zweites Buch, achtes Kapitel), der hier wiedergeben wird. Sie
unterteilen sich in Zeloten, welche bereit waren, ihren Glauben mit dem Schwert
zu verteidigen und den Nazaröern, die Gewalt
ablehnten.
Die alten Berichte über die Essener
1. Aus dem Land des Archelaos wurde nun eine Provinz gemacht, in die Coponius, ein
Römer aus dem Ritterstand, als Statthalter entsandt wurde, der vom Kaiser
alle Gerechtsame einschließlich der Verhängung der Todesstrafe
erhielt. Während seiner Amtsperiode „verführte“ ein
Galiläer namens Judas die Einwohner zum Abfall; er behauptete
nämlich, es sei ein Frevel, wenn sie es bei der Steuerzahlung an die
Römer bewenden ließen und nächst Gott auch Sterbliche als ihre
Herren duldeten. Es handelte sich dabei jedoch um einen Schulmeister, der seine
eigene Lehre hatte und keinerlei Gemeinsamkeiten mit den anderen Juden aufwies.
Die drei jüdischen Philosophenschulen
Bei den Juden gibt es nämlich drei Philosophenschulen:
die Pharisäer, die Sadduzäer und
schließlich die Essener, von denen allgemein behauptet wird, dass sie
sich tatsächlich um eine besondere Selbstheiligung bemühen. Es sind
der Abstammung nach Juden, die sich jedoch in besonderem Grade einander
verbunden fühlen.
Das essenische Ideal:Askese und Gemeinschaftsleben
Sie lehnen jede Lust ab und sehen darin eine Sünde,
während sie die Enthaltsamkeit und den Widerstand gegen die Begierden als
Tugend erachten. Über die Ehe urteilen sie abträglich, doch nehmen
sie die Kinder anderer auf, solange sie noch in einem bildungsfähigen
Alter stehen, und sehen in ihnen Zugehörige und formen sie nach ihren
Idealen. Damit lehnen sie die Ehe und die daraus entstehende Nachkommenschaft
wohl nicht gemeinhin ab, doch sie verschanzen sich gegen die Lüsternheit
der Frauen, von denen sie überzeugt sind, dass sie in keinem Fall einem
einzigen Mann die Gattentreue bewahren.
3. Den Reichtum verachten sie, und ihr Gefühl für
die Gemeinschaft ist bewundernswert. Man findet bei ihnen auch niemand, der
mehr besitzt als die anderen, denn nach ihrem Gesetz müssen jene, die sich
ihrer Philosophie anschließen wollen, ihr Hab und Gut an die Gemeinschaft
übertragen! Auf diese Weise trifft man bei ihnen weder auf erniedrigende
Armut noch auf Reichtum, der überheblich macht, vielmehr wird der gesamte
Einzelbesitz zu einem einzigen brüderlichen Gemeingut. Das Öl gilt
ihnen als unrein, und kommt jemand gegen seinen Willen mit Öl in
Berührung, so reinigt er seinen Körper. Ein ausgetrocknete Haut gilt ihnen nämlich als etwas Schönes und ebenso
der ständige Gebrauch weißer Kleidung. Die Verwalter des Gemeinguts
werden durch Handauflegen gewählt, während einer wie der andere zum
Dienst an der ganzen Gemeinschaft bereit sein muß.
4. Sie konzentrieren sich auch nicht auf eine einzelne
Stadt, sondern sie sind in großer Anzahl auf alle Städte verteilt.
Essener, die anderswoher kommen, können über den ganzen Besitz der
betreffenden örtlichen Gemeinschaft verfügen wie über ihren
eigenen Besitz, und bei Leuten, die ihnen früher völlig unbekannt
waren, gehen sie aus und ein wie bei alten Bekannten. Deshalb reisen sie auch
ohne Gepäck und nur mit Waffen, um sich gegen Räuber wehren zu
können. Allerorten wird für die Gäste ein besonderer Betreuer
aufgestellt, der für Kleidung und sonstige Bedürfnisse zu sorgen hat.
Sie kleiden sich übrigens wie Knaben, und auch ihre Körperghaltung ist so, als hätten sie Angst vor einem Erzieher. Schuhe und Kleidung
wechseln sich nicht, bevor sie völlig zerfetzt und abgetragen sind.
Untereinander kaufen sie und verkaufen sie nichts; wer etwas braucht, dem gibt
ein jeder von dem Seinen und bekommt auch wiederum das von jenem, was er
benötigt; und sogar ohne Gegenleistung kann man von jedem Beliebigen sich
das Nötige aneignen.
Das Tagewerk des Esseners
5. Ihre Gottesverehrung äußert sich auf eine
eigenartige Weise. Vor Aufgang der Sonne reden sie nämlich kein unheiliges
Wort, sondern sie richten an dies Gestirn einige von den Alten überkommene
Gebete, als flehten sie darum, die Sonne möge aufgehen. Dann werden sie
von den Vorstehern ausgesandt, ein jeder zu dem Tun, das er versteht. Wenn sie
dann bis zur fünften Stunde mit Hingabe gearbeitet haben, finden sie sich
wieder an einem bestimmten Platz ein, binden sich eine Leinenschürze um
und waschen sich mit kaltem Wasser. Nach dieser Waschung gehen sie zusammen in
ein besonderes Gebäude, zu dem kein Andersgläubiger Zutritt hat. Sie
selbst verfügen sich nun gewissermaßen „gereinigt“ in
das Refektorium wie in einen heiligen Raum. Ohne ein Wort zu reden, nehmen sie
Platz, dann tischt ihnen der Bäcker der Reihe nach Brote auf, und der Koch
bringt jedem eine Schüssel mit einem einzigen Gericht. Vor Beginn der
Mahlzeit verrichtet ein Priester ein Gebet, und es wäre gesetzwidrig,
zuvor das Essen anzurühren. Nach dem Mahle wird wieder gebetet, und am
Anfang wie am Ende preisen sie Gott als Spender der Lebensnahrung. Dann legen
sie die Kleider, die für die gewissermaßen heilig sind, wieder ab
und widmen sich bis zum Abend weiterhin ihrer Arbeit. Wieder zurückgekehrt
speisen sie nochmals in der gleichen Form, doch zusammen mit den Gästen,
wenn sich welche eingefunden haben. Weder Geschrei noch sonst welcher Lärm
stört je die Weihe des Hauses, sondern sie geben einander das Wort, wie es
sich der Reihe nach fügt. Die Menschen draußen aber mutet die Stille
drinnen wie ein schauerliches Mysterium an; diese Stille ist eine Folge der
ständig eingehaltenen Nüchternheit und der Übung, Speise und
Trank nur bis zur Sättigung zu sich zu nehmen.
Die essenischen Tugenden
6. Die Essener unternehmen sonst nichts, was ihnen nicht von
den Vorstehern aufgetragen wird, und nur in zwei Fällen dürfen sie
nach eigenem Ermessen entscheiden, nämlich wenn es gilt, Hilfe zu leisten
oder Barmherzigkeit zu üben. Es bleibt ihnen selbst anheim gestellt, dort
zu helfen, wo Hilfe nötig ist, und Nahrung zu verabreichen, wo ein
Bedürfnis vorliegt. An Verwandte darf aber ohne Erlaubnis der Vorsteher
nichts gegeben werden. Den Zorn halten sie unter Kontrolle,
Gefühlswallungen zwingen sie nieder, Zuverlässigkeit gilt ihnen viel,
für den Frieden tun sie alles. Jedes Wort was sie sprechen, ist
verlässiger als ein Eid; zu schwören weigern sie sich, denn sie
erachten es schlimmer als einen Meineid; sie sagen nämlich, wer gegen Treu
und Glauben verstößt, ist schon gerichtet auch ohne die Zeugenschaft Gottes.
Die essenischen Bücher
In besonderem Maße jedoch widmen sich sich dem Studium dessen, was die Altvorderen aufgezeichnet
haben, und dabei achten sie vor allem auf das, was förderlich ist für
Leib und Seele. In diesen Aufzeichnungen forschen sie zu medizinischen Zwecken
nach Kräutern, die vor Krankheit schützen, und nach den besonderen
Eigenschaften von Mineralien.
Die Zulassung zur Gemeinschaft; Vorbereitungsstufen
7. Jene aber, die in ihre Glaubensgemeinschaft aufgenommen
werden wollen, können nicht sofort eintreten, sondern sie bleiben ein Jahr
außerhalb der Gemeinschaft und müssen während dieser Zeit die
gleiche Lebensweise einhalten, wozu sie ein kleines Beil, die erwähnte
Schürze und ein weißes Gewand erhalten. Besteht der Kandidat
während dieser Zeit die Prüfung der Enthaltsamkeit, so darf er dem
Leben der Gemeinschaft näher treten und darf teilnehmen an den heiligen
Bädern, die noch größere Reinheit bewirken; doch erhält er
noch keinen Zugang zum Leben in der Gemeinschaft. Denn hat er sich als
standhaft erwiesen, so wird er während der beiden nächsten Jahre auf
seinen Charakter geprüft, und erst wenn er sich darin bewährt hat,
wird er für würdig befunden, in die Gemeinschaft einzutreten.
Der essenische Eid
Ehe er jedoch an das gemeinsame Mahl Hand anlegt,
schwört er ihnen hochheilige Eide, vor allem die Gottheit zu ehren, sodann
Gerechtigkeit zu üben gegen die Menschen und weder aus freiem Antrieb noch
auf Befehl jemand zu schädigen, stets jedoch die Ungerechten zu hassen und
die Gerechten in ihrem Kampf zu unterstützen, immer die Treue zu bewahren
gegen jedermann, vor allem gegen die Obrigkeit, da niemand Macht habe, sie sei
denn von Gott. Und müsse er selbst einmal eine Anordnung treffen, so werde
er seine Macht nie missbrauchen und weder in der Gewandung noch in der
Verwendung von mehr Schmuck die Untergeordneten zu übertragen suchen. Immer
werde er die Wahrheit lieben und sich vornehmen, die Lügner zu entlarven.
Die Hände wolle er der reinhalten von Diebstahl
und die Seele von sündhaftem Gewinn, und vor den anderen Mitgliedern der
Gemeinschaft werde er kein Geheimnis haben und an andere werde er nichts
über sie preisgeben, auch wenn es um Leben oder Tod gehe. Außerdem
schwört er, die Regeln der Gemeinschaft keinem in anderer Weise
mitzuteilen, als er sie selbst übernommen, sich reinzuhalten von Raub und die Schriften der Glaubensgemeinschaft wie die Namen der Engel in
Ehren zu halten. Mit Eidesleistungen dieser Art verschafften sich die Essener Sicherheit hinsichtlich ihrer Novizen.
Der Ausschluß aus der Sekte
8. Wer jedoch bei Verfehlungen betroffen wird, die ins
Gewicht fallen, wird aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Die
Ausgestoßenen sind oft die Opfer eines jämmerlichen Schicksals und
finden ein trauriges Ende; denn die abgelegten Eide und die Ordensregeln
verbieten ihnen, sich von Fremden verköstigen zu lassen. Dann müssen
sie sich von Kräutern nähren und werden kraftlos vor Hunger, bis sie
umkommen. Deshalb haben sie sich schon vieler erbarmt und haben sie wieder
aufgenommen, wenn sie in den letzten Zügen lagen, da sie die bis zu ihrem
Ende ausgestandenen Qualen als ausreichende buße ansahen für deren
Vergehen.
Die Rechtsgewalt
9. Geht es um gerichtliche Entscheidungen, so verfahren sie
äußerst genau und gerecht, und das Urteil ergeht erst, wenn die
Mindestzahl von hundert Essenern zugegen ist. Dann freilich ist das Urteil
unabänderlich.
Die Verehrung des Namens des Gesetzgebers
Nächst Gott verehren sie aber im höchsten
Maße den Namen des Gesetzgebers, und wer ihn nicht ehrt, wird mit dem
Tode bestraft.
Der Gehorsam
Sie halten es für wichtig, sich den Älteren und
der Mehrheit zu fügen; z.B. könnte in einem Kreis von zehn
Männern keiner zu sprechen anheben gegen den Willen der restlichen neun.
Sie hüten sich, inmitten von anderen oder nach der rechten Seite hin
auszuspeien, und sie weigern sich, mehr als andere Juden, am siebten Wochentag
irgendeine Arbeit anzurühren. Denn sie richten nicht nur Tage zuvor ihre
Nahrung zu, um an dem besagten Tag kein Feuer machen zu müssen, sondern
sie getrauen sich nicht einmal, irgendeinen Gegenstand von der Stelle zu
bewegen, ja selbst ihre Notdurft zu verrichten. An den übrigen Tagen aber
schlagen sie mit einer Hacke – von dieser Art ist nämlich die kleine
Axt, die ein jeder bei seinem Eintritt erhält – ein Loch in den
Boden, einen Fuß tief, hüllen sich in ihren Mantel, um den
strahlenden Glanz Gottes nicht zu verunehren, und
entleeren sich dorthin. Dann schaufeln sie die aufgeworfene Erde wieder in die
Grube. Zu diesem Zweck suchen sie möglichst abgelegene Plätze auf.
Obgleich die Entleerung des Körpers etwas ganz Natürliches ist,
pflegen sie sich hernach zu waschen, als hätten sie sich beschmutzt.
Die vier Klassen der Essener
10. Sie sind in vier Klassen aufgeteilt, je nach der Dauer
ihrer frommen Kasteiung, und wer sich ihnen später anschloß,
steht hinter den älteren Zugehörigen so sehr zurück, dass sich
diese nach einer Berührung durch die jüngeren abwaschen, als
hätten sie es mit jemand Fremden zu tun gehabt.
Ihre Langlebigkeit und ihr Heldenmut gegenüber dem Tod
Sie erreichen ein hohes Lebensalter, so dass die meisten
über hundert Jahre alt werden, offenbar da sie ein sehr einfaches und
wohlgeordnetes Leben führen. Für erschütternde Vorkommnisse
haben sie nur Verachtung, Schmerzen überwinden sie durch ihre seelische
Haltung und den Tod ziehen sie einem Leben ohne Ende vor, wenn er sich naht in
Begleitung des Ruhmes. Alle diese Charaktereigenschaften zeigten sich besonders
im Krieg gegen die Römer; man folterte sie auf jede Weise, man brannte
sie, zerschmetterte sie un zerrte sich durch alle
Marterstätten, dass sie entweder den Gesetzgeber lästern oder Verbotenes
essen sollten, aber sie verharrten unbeugsam und ließen sich weder zum
einen noch zum anderen zwingen, auch nicht zu schönen Worten für ihre
Henker oder zu Tränen. In ihrer Pein fanden sie noch ein Lächeln,
spotteten ihrer Folterknechte und schieden voll Bereitschaft aus dem Leben, als
würden sie es wieder empfangen.
Ihr Glaube an die Seele und an das Jenseits
11. Denn mit allem Nachdruck sind sie davon überzeugt,
dass der Körper wohl vergehe und daß das
Stoffliche nicht von Dauer sei, dass jedoch die Seelen unsterblich seien
für immer und ewig. Von den Seelen glauben sie, dass sie, aus dem feinsten
Äther hervorgegangen, sich zusammenfügten und durch natürlichen
Vorgang der Anlockung herabgeholt worden seien. Und wenn sie dann von den
Fesseln des Fleisches befreit würden, dann fühlten sie sich wie aus
langer Haft entlassen und erhöben sich in seliger Freude wieder nach oben.
Mit den Söhnen Griechenlands stimmen sie in der Lehre überein, daß auf die guten Seelen jenseits des Ozeans ein
Leben warte und ein Ort ohne die Unannehmlichkeit von Schnee, Regen und Hitze,
wo vielmehr vom Ozean her unablässig ein sanfter Zephyr weht, um seine
kühlende Wirkung zu tun. Auf die Schlechten harrt nach ihrer Meinung eine
finstere, eiskalte Höhle, der Ort ewiger Strafe. Ich glaube, die gleiche
Annahme findet sich auch bei den Griechen, die für ihre Helden – sie
heißen dort Heroen oder auch Halbgötter – die Inseln der
Seligen bereit haben, für die Seelen der Sünder aber den Hades, den
Ort der Frevler, wo der Sage nach Übeltäter wie Sisyphus und Tantalus, Ixion und Tityos ihre Strafen verbüßen, womit sie in
erster Linie die Unsterblichkeit der Seelen betonen, dann aber auch die
Menschen zur Pflege der Tugend und zum Kampf gegen das Schlechte anspornen
wollen. Sie sind nämlich des Glaubens, die Guten würden während
ihres irdischen Daseins durch die Hoffnung auf Ruhm nach ihrem Tode noch besser
und der Anreiz für die Bösen lasse sich durch Furcht beseitigen, da
sie damit rechnen müssten, ewiger Strafe anheimzufallen,
auch wenn sie in diesem Leben unbehelligt blieben. Das also ist die essenische Theologie der Seele, und wer einmal von ihrer
Weisheit kostet, in dem haftet diese wie ein Köder, von dem er sich nicht
mehr befreien kann.
Ihre Gabe der Weissagung
12. Es gibt aber bei ihnen auch Leute, die vorgeben, die
Zukunft vorauszukennen, nachdem sie sich von Jugend
an zutiefst mit heiligen Büchern, mit mancherlei Reinigungsriten und
Prophetien befasst haben. Tatsächlich passiert es selten, dass sie in
ihren Weissagungen irren.
Die Klasse der verheirateten Essener
13. Es gibt auch noch eine andere Gruppe von Essenern, die
in Lebensart, Sitte und Gesetzgebung mit er ersteren übereinstimmen und
sich lediglich in der Anschauung von der Ehe von ihnen unterscheiden; denn sie
glauben, wer auf die Ehe verzichte, vernachlässige einen wesentlichen
Lebenszweck, nämlich die Zeugung der Nachkommen, d.h. sie meinen, wenn
alle so dächten, dann sei es mit dem Menschengeschlecht bald zu Ende. Aber
sie prüfen ihre künftigen Ehefrauen drei Jahre lang, und wenn diese
nach einem dreimaligen Reinigungsvorgang ihre Gebärfähigkeit erwiesen
haben, dann wird die Ehe geschlossen. Während der Schwangerschaft pflegen
sie keinen Beischlaf, woraus hervorgeht, dass sie nicht aus Gründen der Wollust,
sondern des Kindersegens wegen heiraten. Wenn sie Frauen ihre
Reinigungsbäder nehmen, dann hüllen sie sich in eine Gewandung, so
wie die Männer eine Schürze benutzen. Solches also ist der Brauch in
diesem Orden.
Pharisäer und Sadduzäer
14. Nun wieder zu den beiden Sekten, von denen vorher die
Rede war: Die der Pharisäer widmet sich, wie es heißt, mit
besonderer Sorgfalt der Gesetzauslegung, und sie nehmen auch den ersten Platz
ein unter den Sekten. Für sie ist alles dem Schicksal und Gott anheimgestellt. Wohl stehe es in erster Linie dem Menschen
zu, zwischen Recht- und Unrechttun zu wählen,
doch bei jeglichem Tun sei auch das Schicksal beteiligt. Es seien zwar alle
Seelen unsterblich, aber nur die Seelen der Guten fänden Eingang in einen
anderen Körper, während die der Schlechten ewiger Verdammnis
ausgeliefert seien. Für die zweite Gruppe, die der Sadduzäer,
existiert das Schicksal überhaupt nicht, und Gott, so behaupten sie, habe
gar nichts zu tun mit bösem Handeln, je es interessiere ihn überhaupt
nicht, vielmehr sei es dem Menschen anheimgegeben,
das Gute oder das Schlechte zu wählen, und die Menschen griffen nach dem
einen oder nach dem anderen, je nachdem, wie sich der einzelne entscheide. Ein
Fortleben der Seele, ferner Belohnung und Strafe im Hades verwerfen sie, und
während es bei den Pharisäern eine gegenseitige Freundschaft gibt und
die Eintracht im Interesse der Gemeinschaft gefordert wird, verhalten sich die Sadduzäer zueinander recht unfreundlich. Im Verkehr
mit ihren eigen Leuten geben sie sich ablehnend wie Fremden
gegenüber. Solches also gibt es über die Kreise der Juden zu
berichten, die sich mit Philosophie befassen.